Liebst du dein Pferd bedingungslos?

Die Frage ob du dein Pferd liebst, wirst du wahrscheinlich, ohne groß nachzudenken klar mit einem Ja beantworten. Doch ist diese Liebe bedingungslos? Das ist vielleicht schon schwieriger zu beurteilen. Ich beschäftige mich nun schon länger mit diesem Thema. Vor allem auch in wie weit es die Entwicklung von Kindern beeinflusst, ob sie sich bedingungslos geliebt fühlen oder nicht. Und mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass Pferde auch sehr genau fühlen können ob unsere Liebe bedingungslos ist oder nicht.

Doch was heißt bedingungslos eigentlich?

Die Liebe nicht an irgendwelche Bedingungen knüpfen. Alfie Kohn hat das in seinem Buch „Liebe und Eigenständigkeit“ gut beschrieben: „Kinder dafür zu lieben, was sie tun, oder Kinder dafür zu lieben, wer sie sind. Die erste Art von Liebe ist an Bedingungen geknüpft, das heißt, Kinder müssen sich unsere Liebe dadurch verdienen, dass sie sich so verhalten, wie wir es für angemessen halten, oder dadurch, dass ihre Leistungen unseren Erwartungen entsprechen. Die zweite Art von Liebe ist bedingungslos: Sie hängt nicht davon ab, wie sie sich verhalten, ob sie erfolgreich sind oder gute Manieren haben oder irgendetwas sonst.“ 

Überträgt man das auf sein Pferd, bedeutet das, dass man sein Pferd liebt genauso wie es ist unabhängig davon was es kann und wie es sich verhält. Leichter gesagt als getan. Es ist mit Kindern schon richtig schwer. Im zweiten und dritten Teil dieser Blogserie beschreibe ich zwei großartige Übungen, die uns helfen das doch zu schaffen.

Warum ist bedingungslose Liebe so wichtig?

Wenn wir unsere Liebe an Bedingungen & Erwartungen knüpfen machen wir unser Gegenüber damit zum Objekt. Zum Objekt unserer Erwartungen, Vorstellung, Ziele und Maßnahmen. Fühlt sich das gut an? Ich mag in jedem Fall kein Objekt sein. Das ist ziemlich entwürdigend. Als Kinder haben wir uns irgendwann damit abgefunden, dass man im Leben anscheinend Leistung bringen muss, brav sein muss, sein Zimmer aufräumen muss, …. wenn man erfolgreich und geliebt werden will. Wir haben kooperiert und uns dabei selbst unterdrückt und hintergangen, weil wir geliebt werden wollten. Das führt dann zu diversen Dilemmata. Das wir uns zB nur wertvoll fühlen, wenn wir etwas leisten und wenn wir dafür auch Anerkennung bekommen.

Was sagt die Forschung?

Gerald Hüther, mein Lieblingshirnforscher hat dazu auch einige Erkenntnisse. Seiner Meinung nach ist die wichtigste Erfahrung für jedes Kind zu spüren, dass es so wie es ist richtig ist und um seiner selbst willen geliebt wird. Bedingungslos. Macht es diese Erfahrung nicht, hat es ein Problem. Kinder sind von ihren Eltern abhängig und sie sind daher bereit alles zu tun, um geliebt zu werden. Daher kann man mit Liebesentzug auch sehr leicht manipulativ auf sie einwirken. Werden Kinder zum Objekt elterlicher Erwartungen, Wünsche oder Maßnahmen gemacht wird, dann zerreißt das Band zu den Eltern. Und das ist sehr schmerzhaft für das jeweilige Kind. Es verliert in diesem Moment seine Unbeschwertheit. Es wird nämlich versuchen diesen Schmerz loszuwerden und sich anstrengen um möglichst so zu werden wie die Eltern das haben wollen. Damit fängt es an, dass man sich nach außen orientiert und sich und seinen Selbstwert abhängig von der Bewertung anderer Menschen macht. So passt man dann perfekt in unsere Leistungs- und Konsumgesellschaft. Aber ist man so auch glücklich? Es gibt übrigens auch Kinder, die sich nicht anpassen, sondern gegen diese Entwürdigung rebellieren. Das sind meist sehr charakterstarke Kinder die so etwas einfach nicht mit sich machen lassen. Bei Pferden gibt es auch unterschiedliche Verhaltensweisen.

Doch was hat das alles mit Pferden zu tun??

Pferde sind gottseidank nicht so abhängig von uns wie Kinder von ihren Eltern. Zumindest nicht in ihren Augen. Das macht sie weniger leicht „manipulierbar“, weil sie nicht um jeden Preis unsere Liebe haben wollen. Dennoch habe ich gemerkt, dass Pferde recht ähnlich reagieren wie Kinder, wenn man sie als Objekt behandelt. Und das passiert unbewusst ganz schön schnell. Es ist wirklich nicht einfach immer sämtliche Erwartungen, Wünsche und Ziele beiseite zu schieben und sein Pferd so wie es JETZT gerade ist, was es uns JETZT gerade sagt und welche Bedürfnisse es JETZT gerade hat wahrzunehmen und anzunehmen.

„Nur wenn wir unserem Pferd erlauben, so zu sein, wie es ist, anstatt so, wie wir es haben wollen, können wir eine friedvolle Beziehung aufbauen.“

Das schrieb mir Katharina von The Liberty Coaches heute im Rahmen ihres Achtsamkeitskurses. Und dem kann ich nur voll und ganz zustimmen.

Pferde reagieren je nach Vorgeschichte und Charakter unterschiedlich darauf, wenn wir unsere Liebe an Bedingungen knüpfen. Wenn wir sie nicht wirklich sehen, nicht annehmen können wie sie sind und was sie uns in dem jeweiligen Moment sagen und was sie vielleicht jetzt gerade brauchen.

Es gibt Pferde, die traurig und depressiv werden.  Pferde, die uns an diesen Tagen, wenn wir mit 100 Erwartungen im Kopf in den Stall kommen dann einfach ihr Hinterteil zeigen und sich schlichtweg nicht mit uns und unserer Energie abgeben wollen. Es gibt Pferde, die aggressiv und zornig reagieren und es gibt auch Pferde die unsicher und gestresst reagieren, weil sie doch irgendwie unsere Erwartungen erfüllen wollen. Diese Kandidaten gehen dann vielleicht sogar über ihre eigenen Grenzen, um es uns doch recht zu machen. Glücklich sehen sie allerdings selten dabei aus. Und es gibt sicher auch Pferde, die sich damit abgefunden haben, dass wir Menschen nunmal unsere Pläne & Ziele haben, die wir durchsetzen, und dass es keinen Sinn macht eigene Befindlichkeiten und Wünsche zu äußern. Weil diese sowieso nicht gehört werden. Sind wir in diesen Vorhaben klar und berechenbar, gibt es Pferde die gut mit solchen Umgangsformen zurechtkommen. Andere wiederum die daran zerbrechen. In wie weit und in welchen Kontexten man seinem Pferd Mitspracherecht & Autonomie einräumt muss jeder selbst für sich entscheiden.

Darf man dann überhaupt eigene Wünsche haben?

Natürlich darf man eigene Wünsche haben. Mir hilft es oft, wenn ich die jeweilige Situation mit der Beziehung zu einer anderen erwachsenen Person vergleiche. Ich kann mir von einer Freundin wünschen, dass sie mit mir eine Wanderung macht. Aber wenn sie heute keine Lust dazu hat, dann mag ich sie deshalb nicht weniger oder verurteile mich nicht selbst deswegen.

Ich habe mich zum Beispiel sehr lange schlecht gefühlt, weil Poco nicht mit mir den Stall verlassen wollte. Ich habe mich unfähig gefühlt und das hat verhindert, dass ich ihn, seine Motive und die Situation wirklich sehen konnte. Ich war in meinen eigenen Mustern gefangen und konnte weder mich noch Poco und die Situation annehmen wie sie ist. Ich wollte es anders haben. Dieser ganze Gefühlscocktail und meine Erwartungen haben sich nicht wirklich gut auf unsere Beziehung ausgewirkt und haben auch nicht geholfen etwas zu verändern. Das konnten erst passieren, nachdem ich diese Situation und Poco mit seinen Bedürfnissen und Ängsten genauso angenommen habe wie sie war. Dabei hat ein Blick von außen sehr geholfen. Danke liebe Sonja Burgemeister für deine Begleitung durch diesen Prozess. Denn oft ist man so gefangen in einer Situation, dass man offensichtliche Muster und Lösungen nicht selbst sehen kann.

Liebst du dich selbst?

Und da sind wir wieder. Wenn wir selbst in „nicht gut genug“ Spiralen gefangen sind, oder Schuldgefühle haben weil XY nicht klappt, sind wir nicht fähig jemand anderes wirklich zu lieben. Wir brauchen dann etwas vom anderen. Ein bestimmtes Verhalten, oder Liebe und Anerkennung. Und das fühlt sich für ein Pferd nie gut an. Es spürt den Mangel, die Selbstzweifel und die Abhängigkeit. Das erzeugt einen enormen Druck und dient niemandem. Stell dir vor, dein Partner würde zu dir sagen, ich kann mich nur gut fühlen und glücklich sein, wenn du XY für mich tust. So eine Beziehung kann auf Dauer nicht glücklich machen.

Also zu allererst an der Selbstliebe arbeiten.

Liebst du dich dafür wer du bist? Oder dafür was tu tust bzw. kannst?

Liebst du dein Pferd, weil es ist wie es ist? Oder weil es bestimmte Dinge tut oder kann?

In den nächsten Tagen folgen noch drei weitere Artikel zu diesem Thema. Unter anderem zwei einfache Übungen, die es uns erleichtern bedingungslose Liebe zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen und Pferden zu praktizieren, und meine Gedanken zum Thema Training & bedingungslose Liebe. Denn wenn ich jemand trainiere, mache ich ihn doch automatisch zum Objekt meines Trainingsplans und meiner Ziele, oder?

Mich würde auch sehr deine Gedanken zu diesem Thema interessieren. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Oder hast du eine ganz andere Meinung dazu? Ich freu mich wenn du einen Kommentar hier lässt.